Dominique de Marné ist Gründerin und Geschäftsführerin der Mental Health Crowd: Kernaufgabe des Sozialunternehmens ist es, über mentale Gesundheit zu reden – bei Workshops, Vorträgen, Lesungen oder auch im eigenen Blog.
Dominique weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, über das Thema aufzuklären. Sie selbst litt jahrelang an psychischen Erkrankungen, bis sie sich schließlich Hilfe suchte.
Im Interview erzählt sie, wie sie mit ihrer Krankheit umgeht, was sie für ihre eigene mentale Gesundheit tut und wie wertvoll die Unterstützung von anderen auf dem Weg der Heilung ist.
Der Weg bis zur Diagnose
10 Jahre lang hast du unerkannt unter psychischen Problemen gelitten, bevor bei dir Borderline, Depression und Alkoholsucht diagnostiziert wurde. Woran lag es, dass du die Diagnose so spät erhalten hast?
Dominique: An fehlendem Wissen. Mir ging es in diesen 10 Jahren einfach richtig schlecht. Ich hatte Verhaltensweisen, von denen ich wusste, dass sie nicht gesund sind. Aber ich hatte dafür keine andere Erklärung außer: „Ich bin halt schwach, ich kriege es halt nicht hin, ich bin halt die Loserin und allen anderen geht’s gut.“
Hinweis: Du hast selbst psychische Probleme und suchst Hilfe? Bei der Telefonseelsorge kannst du jederzeit kostenlos anrufen, wenn du jemanden zum Reden brauchst:
0800 - 111 0 111
Dass da eine andere mögliche Erklärung – nämlich eine Erkrankung – dahinter steckt, kam mir nie in den Sinn, weil das ganze Thema mentale Gesundheit ja auch nirgends wirklich thematisiert wird.
Ich habe in der Schule nie etwas über mentale Gesundheit oder Depression gelernt – sonst wäre ich vielleicht früher darauf gekommen. Ich habe nie gesucht, denn ich wusste garnicht, dass es etwas gibt, nachdem ich hätte suchen können.
Die Rolle des Umfelds
Vielen Menschen fällt es grundsätzlich schwer, offen über psychische Erkrankungen zu sprechen. Welche Rolle hat für dich dein Umfeld gespielt – wann hast du mit jemandem in deinem Freundeskreis oder deiner Familie offen darüber gesprochen?
Dominique: Als ich wirklich krank war, habe ich kaum darüber geredet, besonders nicht mit meiner Familie. Niemand hat mitbekommen, wie schwer krank ich war – ich habe das immer verheimlicht. Nach außen hin habe ich einfach funktioniert.
Als es am Ende ziemlich schlimm war, habe ich hier und dort einzelnen Leuten Bruchstücke erzählt – ich wollte aber nicht wirklich darüber reden.
Als ich dann die Diagnosen hatte, hat sich das geändert. Denn da war für mich klar: “Wenn ich eine andere Erkrankung hätte, würde ich ja auch mit meinem Umfeld darüber reden.”
Ich habe dann erst mit Freunden gesprochen und später auch mit meiner Familie. Die Reaktionen waren sehr positiv und unterstützend.
Hinweis:
Du möchtest dich gerne mit jemandem über mentale Gesundheit austauschen oder suchst ein offenes Ohr für deine Probleme? Wende dich an deine Nachbar:innen und schreibe einen Beitrag bei nebenan.de.
Tipps für Angehörige und Freund:innen
Auch für die Angehörigen und Freund:innen ist es sicherlich eine Herausforderung, den richtigen Umgang mit einer psychisch erkrankten Person zu finden. Was würdest du den Menschen raten? Beziehungsweise: Wovon würdest du ihnen abraten?
Das Wichtigste: Da sein und zuhören
Und zwar wirklich zuhören! Wenn eine Person – ob mit oder ohne psychischer Erkrankung – von ihren Problemen oder Stress erzählt, neigen wir dazu, gleich vom eigenen Stress zu erzählen. Nein! Stattdessen: Einfach der anderen Person Raum geben und einfach mal wirklich zuhören.
Selbstfürsorge
Wenn gerade eine Diagnose im Raum steht, kann das wirklich anstrengend sein. Wenn mein Partner eine Krebserkrankung hat, ist das auch ganz schön anstrengend – genauso ist es bei psychischen Erkrankungen.
Deswegen ist es sehr wichtig, dass auch die Personen im Umfeld auf den eigenen Akku achten und sich fragen: “Wie geht es mir gerade?” Dazu kann auch gehören, Grenzen zu setzen und spazieren zu gehen oder sich mit Freunden treffen – auch wenn der oder die Betroffene gerade mit einer Depression auf der Couch liegt.
No-Gos sind Ratschläge und Phrasen
Oft neigt das Umfeld bei psychischen Erkrankungen dazu, zu denken, sie könnten die Situation mit Ratschlägen verbessern: „Hast du es schonmal mit Yoga probiert? – Vitamin D soll helfen. – Jetzt reiß dich halt mal zusammen.“
Wenn jemand ein gebrochenes Bein oder einen Tumor hat, habe ich auch nicht den Anspruch an mich, dass ich das heilen muss. Bei psychischen Erkrankungen haben das Leute im Umfeld ganz oft – und das ist nicht deren Aufgabe. Dafür gibt es Profis, dafür gibt es Therapeuten. Das Umfeld kann da sein, kann unterstützen, kann Hilfestellungen geben. Aber es ist nicht deren Aufgabe, die Krankheit zu heilen.
Tipps zur Stärkung der mentalen Gesundheit
Was hilft dir persönlich am meisten, um depressiven Phasen vorzubeugen? Hast du Tipps für betroffene Personen?
Dominique: Was mir am Anfang wirklich geholfen hat, war die Therapie. Ich habe die Krankheit kennengelernt und gelernt, was mir hilft.
Und heute helfen mir immer noch viele Dinge, die ich im Laufe der Zeit gelernt habe:
Struktur, Schlaf, Ernährung & Bewegung
Das ist für mich die Grundlage für alles: Ich weiß, ich brauche meinen Schlaf, also schaue ich, dass ich zu ähnlichen Zeiten ins Bett gehe und aufstehe. Ich starte jeden Morgen mit meiner Morgenroutine mit Sport, Yoga und Meditation. Jeder Tag geht gleich los und ich habe bestimmte Abläufe und Rituale.
Achtsamkeit
Achtsamkeit hilft mir bis heute: Einfach wirklich selbst zu entscheiden, wo mein Gedanke, wo mein Fokus gerade ist.
Um Hilfe fragen
Ich habe verstanden, dass ich um Hilfe fragen darf und nicht alles mit mir selbst ausmachen muss. Das fällt mir manchmal schwer, aber das ist sehr wichtig.
Mein Umfeld und meine Arbeit
Und natürlich hilft mir mein Umfeld – vor allem mein Partner und unsere Tochter. Auch meine Arbeit hilft mir, weil ich meine Arbeit liebe und mit meinen Erfahrungen jetzt anderen helfen kann.
Ich bin davon überzeugt, dass diese Dinge grundsätzlich allen Menschen gut tun. Wir alle sollten auf unsere mentale Gesundheit achtgeben – und zwar nicht erst dann, wenn wir die Diagnose einer psychischen Erkrankung erhalten.
Ich merke: Wenn ich diese Dinge schleifen lasse und ständig über meine Grenzen gehe, dann kann ich leicht ziemlich abrutschen. Mir geht es jetzt seit Monaten gut und ich bin sehr stabil, aber ich bin mir bewusst, dass das immer wieder kippen kann.
Deshalb tue ich all das, weil es mir einfach gut tut – aber auch, um langfristig gesund zu bleiben.
Hinweis:
Du suchst Gesellschaft, um deinen inneren Schweinehund zu überwinden und mehr Sport zu machen? Frage deine Nachbar:innen bei nebenan.de, wer sich deinem Vorhaben anschließen möchte.
Erste Schritte bei psychischer Erkrankung
Welche Tipps würdest du betroffenen Personen geben, um sich zu informieren, um Hilfe zu erhalten?
Mein grundlegender Tipp: Mit irgendwem reden! Das muss kein Profi sein, das kann auch die Telefonseelsorge sein.
Es gibt in Deutschland nicht “die” eine gute Webseite mit Informationen zu sämtlichen psychischen Erkrankungen – aber diese Seiten kann ich sehr empfehlen:
Angehörigenverbände: Die Verbände gibt es in ganz Deutschland mit Selbsthilfegruppen und Support für die Angehörigen
Willst du dich mit deinen Nachbar:innen vernetzen und austauschen?
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