Der Terminkalender von Jess ist derzeit so voll, wie schon lange nicht: Gesangsstunden, Babysitten, Deutsch-Nachhilfe, Kaffee-Klatsch, Spieleabend, Plätzchen-Backen… Kaum zu glauben, dass es die gleiche Frau ist, die sich vor Kurzem nur alle zehn Tage zum Einkaufen auf die Straße traute.
Ich war wie eine Schnecke, die sich immer in ihrem Schneckenhaus verkrochen hat. Ich hatte furchtbare Angst vor Menschen und alles Vertrauen in die Menschheit verloren. Mir ging es richtig schlecht.
Die gelernte Erzieherin litt seit 2012 an einer schweren Depression, war in klinischer Behandlung und wurde schließlich früh berentet. Ihre Therapeutin sagte ihr wieder und wieder, dass sie den Kontakt zu anderen nicht verlieren dürfte – aber das war leichter gesagt als getan.
Kinder-Betreuung gegen Gesangsunterricht
Vor etwa 1,5 Jahren entdeckte Jess einen Wurfzettel vom Nachbarschaftsnetzwerk nebenan.de in ihrem Briefkasten und wurde neugierig. „Ich dachte: Online kann ich erst einmal ganz vorsichtig die Fühler ausstrecken und mich zur Not immer noch zurückziehen“, erzählt sie. Vor einem eigenen Beitrag hatte sie zunächst Respekt und verfolgte deshalb zuerst passiv, worüber sich ihre Nachbarn aus Berlin-Gesundbrunnen auf der Plattform so austauschten. Beim Beitrag einer alleinerziehenden Nachbarin wurde sie hellhörig:
Die Nachbarin suchte eine Betreuung für ihren 7-jährigen Sohn und hat im Gegenzug Gesangsunterricht angeboten. Da dachte ich: Das ist ja wie für mich gemacht!
Singen und Lachen gegen die Angst
Denn Jess hatte schon zuvor gemerkt, dass ihr das Singen hilft, ihre Ängste in den Hintergrund zu rücken. Zu „Singstar“ sang sie alleine in ihrer Wohnung, „wohl zum Leidwesen meiner Nachbarn“, sagt sie. Dann ging alles ganz schnell. Jess meldete sich auf die Nachricht ihrer Nachbarin und schon drei Tage später fand das erste Treffen mit Gesangsstunde statt, bei dem sie auch den Sohn kennenlernte.
Ich hab’ an dem Tag so viel gelacht! Als ich auf dem Weg nach Hause war und daran dachte, was ich mit dem Jungen alles gespielt hatte, hatte ich direkt wieder ein Lächeln im Gesicht. Und hab’ mich gleich auf den nächsten Termin gefreut!
Gebraucht zu werden ist die beste Medizin
Seitdem besucht Jess ihre Nachbarin mindestens zwei Mal pro Woche. Mit der Mutter hat sie sich inzwischen angefreundet und der Junge hat sie ins Herz geschlossen. Mit ihm spielt sie am liebsten ganze Agentenkrimis nach. Meist hat der Junge das „Drehbuch“ schon fertig, wenn sie ankommt.
"Mal spiel ich den Verbrecher und er ist vom SEK oder umgekehrt… Er hat so eine Fantasie und so tolle Einfälle, das ist total inspirierend. Dieses Gefühl, gemocht und gebraucht zu werden, hat mir unglaublich geholfen."
Beim Spieleabend die Fühler ausstrecken
Nach dieser Erfahrung wurde Jess mutiger und entschloss sich, ihren ersten eigenen Beitrag zu verfassen und bei nebenan.de zu einem Spieleabend mit ihrem Lieblingsspiel Carcassonne aufzurufen. Natürlich hatte sie auch Angst, enttäuscht zu werden. Doch sie bekam 17 positive Antworten aus ihrer Nachbarschaft. Bei der Termin-Koordination wurde es dann knifflig, sodass sich Jess letztendlich nur mit einem Nachbarn zum ersten Spieleabend traf.
„Da war mir schon ein bisschen mulmig zumute, zu einem fremden Mann nach Hause zu gehen, der ja wer weiß was für Hintergedanken haben könnte. Aber er war genauso aufgeregt wie ich und zum Glück lief es total super!“
Die Kreativität kehrt zurück
Mit dem Nachbarn Mike, einem zugezogenen Holländer, verquatschte sich Jess so, dass zum Spielen letztlich gar keine Zeit mehr blieb. Seit dem ersten „Beschnuppern“ treffen die beiden sich alle vier bis fünf Wochen und schmieden jede Menge Pläne:
Als nächstes wollen sie das Monchichi von Jess zum Laufen bringen und zu einem Mini-Roboter umfunktionieren. „Früher hab’ ich mir alles selbst beigebracht, war kreativ und wissbegierig. Das kommt jetzt langsam zurück“, sagt Jess.
Wieder um Hilfe bitten können
Über nebenan.de hat Jess auch den ersten Kontakt zu einer Flüchtlings-Familie aufgebaut: Der syrische Vater Adnan suchte Deutsch-Nachhilfe für seine Tochter und Jess bot ihre Hilfe an. „Das Schöne ist ja: Man bekommt so viel zurück! Neulich gab es im Norma eine Matratze im Angebot und Adnan ist durch ganz Berlin gefahren, um mir eine zu besorgen, weil sie überall so schnell ausverkauft waren! Und auch wenn ich krank bin, habe ich jetzt keine Hemmungen einen meiner Nachbarn zu bitten, für mich zur Apotheke oder einkaufen zu gehen.“
Heute ist Jess voller Zuversicht. Sie hat schon viele Ideen, was sie als nächstes in ihrer Nachbarschaft auf die Beine stellen will – auch, wenn ihr Terminkalender dadurch immer voller wird. Ihr Fazit: „nebenan.de ist die beste Erfindung überhaupt! Für mich war das lebensrettend!“
Wenn du auch mit Ängsten, Einsamkeit oder Depressionen zu kämpfen hast, hat Jess einige Ratschläge, wie dir deine Nachbarschaft helfen kann:
- Du bist nicht allein: Wahrscheinlich gibt es in deiner Nachbarschaft mehr Leute als du denkst, denen es ähnlich wie dir geht oder die gerne Gesellschaft hätten. Das ist eine gute Voraussetzung!
- Biete deine Hilfe an: Wenn du anderen Menschen unter die Arme greifst, hilft das auch dir. Deine Hilfe können auch Kleinigkeiten sein: Den Hund der Nachbarn ausführen oder einen Kuchen backen. Du kannst bei nebenan.de einfach auf ein Gesuch antworten oder selbst ein Angebot machen.
- Frage nach Leuten mit gleichen Interessen: Zum Beispiel kannst du bei nebenan.de Leute finden, die auch gerne Spielen, spazieren gehen oder singen – egal, was du gerne machst.
- Bleib authentisch: Schreib deine Beiträge so, wie du bist. Es bringt nichts, sich zu verstellen. So findest du auch eher Leute, die so ticken wie du.
- Trau dich! Du kannst einfach ausprobieren, ob nebenan.de etwas für dich ist. Durch ein kleines Online-Lebenszeichen kann erst mal nichts Schlimmes passieren. Im schlimmsten Fall kannst du deinen Beitrag auch wieder löschen. Aber vielleicht triffst du ja auch so tolle Menschen wie ich.
Professionelle Hilfe bekommst du außerdem bei https://www.deutsche-depressionshilfe.de/
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