Frau sitzt auf einer Wiese und blickt in den Sonnenuntergang.
Symbolbild: unsplash.com

Unterstützung aus der Nachbarschaft: Milena* findet neuen Lebensmut


Nach einer schweren depressiven Episode meldet sich Milena* 2020 bei nebenan.de an, um Unterstützung zu finden. Über ihren Aufruf ergibt sich ein regelmäßiger Kontakt für gemeinsame Spaziergänge durchs Viertel – ein Licht am Ende eines dunklen Tunnels für die junge Studentin.

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Milena* heißt eigentlich anders. Sie möchte in diesem Beitrag anonym bleiben, um so offen wie möglich über ihr Schicksal und ihre Erfahrungen sprechen zu können.

Sie ist 26 Jahre alt, Studentin, autistisch und lebt in einer Stadt im Ruhrgebiet. Sie hat in ihrem Leben schon viel erlebt – von Wohnungslosigkeit und Schulden bis zu schweren depressiven Episoden. Als sie 2020 über nebenan.de Unterstützung findet, schöpft sie wieder neuen Mut. Doch ein paar Jahre später findet sie sich erneut in einer prekären Lebenssituation wieder.

Milena* ist eine unter vielen Studierenden, die es nicht leicht haben:

Rund 40 % der Studierenden in Deutschland sind armutsgefährdet (Destatis, 2021). Das Armutsrisiko unter Studierenden, die allein oder ausschließlich mit anderen Studierenden zusammenleben, beträgt sogar über 75 %. 2018 waren laut Barmer Arztreport rund 17 % aller Studierenden von einer psychischen Diagnose betroffen. Zusätzlich zu finanziellen Sorgen haben Isolation, Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit in den von der Pandemie geprägten Jahren unter Studierenden zugenommen. In einer Studie der DGPM aus dem Jahr 2021 gaben 40 % der befragten Studierenden an, unter depressiven Symptomen zu leiden.

Von der großen Überwindung, nach Hilfe zu fragen

Milena* hat über die Nachbarschaftsplattform nebenan.de Unterstützung gefunden und so neuen Lebensmut geschöpft. Sie hat uns ihre Geschichte erzählt und möchte damit anderen Betroffenen Mut machen; ihnen zeigen, wie sie einen Weg heraus aus der Depression finden können.

Milena* erzählt: 

Anders als im Jahr 2020 hat sich mittlerweile viel bei mir verändert. Der wohl wichtigste Unterschied: meine wunderbare, kleine Meerschweinchen-Familie. Nachdem ich im Januar aufgrund psychischer Untauglichkeit innerhalb der Probezeit gekündigt worden war, fiel ich in ein tiefes Loch. Bis März versuchte ich, mich irgendwie mit meinem Kleingewerbe über Wasser zu halten. Als autistischer Mensch mit Phasen jahrelanger Selbstisolation ist dies wohl eine meiner – zugegeben ungesunden – Bewältigungsstrategien: „Ich muss es irgendwie alleine schaffen. Du bist alleine und keiner wird dir helfen.“ Anfang März bin ich dann gestürzt und habe mir das Knie verstaucht. In meinem Kopf gab es zu dieser Zeit eigentlich immer nur ein und dasselbe Wort: Endstation.

Nachdem ich mich schon beinahe aufgegeben hatte, habe ich mich an all die lieben Nachrichten erinnert, die mir vor knapp zweieinhalb Jahren in das Online-Postfach meines nebenan.de Profils zugesendet wurden. Also habe ich mir ein Herz gefasst und mich ein weiteres Mal getraut, nach Unterstützung zu fragen.

In meinem Hilferuf ging es um meine wundervolle, tierische Familie. Ich bat um Ratschläge, Gemüse- und Heuspenden, Adressen von FairTeiler- und FoodSharing-Standorten – also zusammengefasst eigentlich alles, was mir dabei helfen kann, meine Tiere zu ernähren. Ich vertraute meine Sorgen völlig fremden Menschen an und hoffte auf das Beste.

Nie in meinem Leben hätte ich mir ausmalen können, was anschließend passiert ist: Mein Postfach bei nebenan.de wurde, im wahrsten Sinne des Wortes, mit Unterstützung überflutet.

Und obwohl es in meinem Beitrag vor allem um meine Fellnasen ging, ließ es sich meine Nachbarschaft nicht nehmen, auch mich zu versorgen:

Eine Person überwies mir eine Geldspende; eine weitere Person gab mir tütenweise haltbare Spenden und hochwertiges Futter für meine Tiere, welches ich mir niemals hätte leisten können. Wieder eine andere Person ging mit mir Vorräte für meine Tiere einkaufen und hatte anschließend stundenlang ein offenes Ohr für mich, einfach so. Und das ist noch lange nicht alles! So viele liebe Menschen schrieben teilweise tagelang mit mir hin und her, empfohlen mir Orthopäden und anderes Fachpersonal im Viertel in Bezug auf mein Knie, erinnerten mich daran, die Hoffnung nicht aufzugeben oder schauten sogar extra für mich an FairTeiler- und Foodsharing-Orten nach, was sich gerade darin befand, damit ich mich nicht umsonst mit meinem schmerzenden Knie auf den Weg machen muss.

Nachbarschaftshilfe sorgt für Gänsehaut

Ich bin noch immer überwältigt und habe Gänsehaut, wenn ich an all die Hilfsangebote denke, die ich von meinen Nachbar:innen erhalten habe. Um ehrlich zu sein, dachte ich, ich träume.

Menschen mit sichtbaren sowie unsichtbaren Behinderungen haben häufig ihr Leben lang mit Diskriminierungen, Traumatisierungen und Anfeindungen zu kämpfen – eine Erfahrung, die sich auch durch mein ganzes Leben wie ein roter Faden zieht. Aufgrund dessen bin ich, wahrscheinlich aus Selbstschutz, erst einmal davon ausgegangen, dass Ähnliches diesmal auch passiert. Ich musste nicht lange warten, um vom Gegenteil überzeugt zu werden. Durch all die vielen lieben Nachrichten und Unterstützungsangebote kann ich sagen: mein Glaube an die Menschheit wurde wiederhergestellt.

Ich war so entkräftet und ausgezerrt. Ich hatte seit meinem Sturz wochenlang kaum geschlafen, kaum gegessen, war körperlich völlig am Ende und hätte, wenn es meine Tiere nicht gäbe, vielleicht eine sehr schlimme Entscheidung getroffen – ich konnte gar nicht mehr klar denken.

Und dann sind mir durch nebenan.de unzählige Engel erschienen. Ich bin nicht mal christlich, aber ich weiß nicht, wie ich diese Menschen anders beschreiben soll. Diese Menschen haben nicht nur meine Tiere versorgt und mir genug Vorräte geschenkt, um einen ganzen weiteren Monat durchzuhalten. Sie haben mir auch die Kraft und die Hoffnung und damit die Möglichkeit gegeben, mir selbst zu helfen.

In einer Woche hat sich einfach mein ganzes Leben verändert. Ich kann mich jetzt mit einem Sozialarbeiter um eine rechtliche Betreuung für mich kümmern; ich habe eine Beurlaubung von meinem Studium beantragt, um mich voll und ganz um meine Gesundung kümmern zu können. Und das wahrscheinlich Wichtigste: Ich weiß jetzt, dass ich wirklich nicht alleine bin und dass ich auch ein Recht auf Hilfe und auf Leben habe. Und egal, wie viel Zeit all diese Dinge auch in Anspruch nehmen mögen, ich weiß jetzt, dass ich die Hoffnung niemals aufgeben darf. 

Bevor ich mich getraut habe, nach Hilfe zu fragen, habe ich mich immer irgendwie fremd gefühlt; nicht nur in meiner jetzigen Nachbarschaft, sondern schon immer in der ganzen Stadt. Ich bin zwar hier geboren und aufgewachsen, aber ich habe gleichzeitig den Großteil meines ganzen Lebens alleine in meinem Zimmer verbracht und konnte nie wirklich in meiner eigenen Heimatstadt Wurzeln schlagen. Jetzt weiß ich nicht nur, dass es Menschen gibt, die auf mich Acht geben, sondern ich habe sogar echte Freundschaften und Bekanntschaften geschlossen. Bekanntschaften, die ich mir vorher nicht mal erträumen konnte.

Meine Nachbarschaft gibt mir Hoffnung. Hoffnung und Zuversicht darüber, dass man gemeinsam zumindest immer eines ist: nicht alleine. Und ich glaube, das ist in einer ungewissen, postmodernen und von schlechten Nachrichten beherrschten Welt essenziell. Jeder Einzelne ist wichtig und jede Einzelne macht einen Unterschied. Und das habe ich dank meiner Nachbarschaft jetzt verinnerlicht und verstanden.

„Man muss sich nicht einmal kennen, um einander unterstützen zu können.”

In Deutschland reden wir oft über unsere „Ellebogengesellschaft“ – etwas, was ich für meinen Teil so sehr verinnerlicht hatte, dass ich selbst davon überzeugt war und daran geglaubt habe, selbst schuld an meiner Situation zu sein. Mein ganzes Leben lang höre ich dieselben Sachen: „Leistungsgerechtigkeit ist das einzig wahre Prinzip“, „wer sich nicht selbst helfen kann, ist selbst schuld“, „mach bloß was aus dir und werde keiner dieser Sozialschmarotzer“, „man kann halt nicht alle retten, das ist halt so“ – es scheint einen regelrecht internalisierten Hass auf armutsbetroffene Menschen zu geben. 

Und obwohl ich weiß, dass nicht jede einzelne Person diesen Hass wirklich empfindet, trifft es nach meiner subjektiven Erfahrung auf die breite Masse zu. Und das, obwohl jeder Mensch in seinem Leben irgendwann mal Hilfe von außen braucht – das liegt in der Natur eines sozialen Lebewesens. Ich glaube, wir haben das in Deutschland vielleicht irgendwie vergessen. Netzwerke wie nebenan.de können an der kleinsten, barriereärmsten Instanz ansetzen: bei uns allen, uns als Mensch.

Ich hoffe, dass ich durch meine Geschichte zeigen kann, dass niemand alleine sein muss. Dass man sich nicht einmal kennen muss, um einander unterstützen zu können.

Manchmal braucht es wirklich nur einen Menschen, der dir sagt: „Ich glaube an dich und du schaffst das irgendwie.“ Es gibt da draußen Menschen, die du noch gar nicht getroffen hast, die an dich glauben, auch wenn du selbst nicht an dich glauben kannst. Und diesen Menschen bin ich Dank nebenan.de begegnet.

Mein Wunsch für alle, die mit ähnlichen Herausforderungen wie ich konfrontiert sind: Versucht euch auf die Gewissheit einzulassen, dass ihr bei den richtigen Menschen alles sein dürft und sie euch dafür nicht verurteilen werden. Jeder Mensch kann in prekäre Lebenssituationen geraten. Absolut jeder, ohne Ausnahme. Und deswegen ist es meiner Meinung nach so wichtig, dass wir einander nicht aufgeben – dass wir niemanden aufgeben. Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben; obdach- und wohnungslos oder armutsbetroffen sind, Menschen mit verschiedenen Behinderungen – grundsätzlich alle, die irgendwie ‘anders’ sind, haben doch eines und dasselbe gemeinsam: Sie sind alle Menschen.

Vielleicht kann man ‘nicht jeden retten’ – aber ich glaube, man kann jedem Menschen ein Lächeln, eine Umarmung, ein offenes Ohr oder auch nur ein paar liebe Worte schenken. Und das ist unendlich wertvoll.

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Johanna Falkenstein | nebenan.de

Johanna unterstützt das Kommunikationsteam von nebenan.de seit April 2018. Unter anderem beschäftigt sie sich mit Begegnungsformaten in der Nachbarschaft – online und offline.