Bild: Heike Günther
Bild: Heike Günther

Selbstbestimmt leben im Alter dank Unterstützung aus der Nachbarschaft


Möglichst lange selbstständig und selbstbestimmt leben im Alter: Das Hamburger Modellprojekt QplusAlter möchte dies ermöglichen und entwickelt dafür gemeinsam mit älteren Menschen kostenlos einen passenden Unterstützungsmix.

Ein Gastbeitrag der Evangelischen Stiftung Alsterdorf

___

Es gibt immer mehr ältere Menschen mit Unterstützungsbedarf, gleichzeitig sinkt die Zahl der professionellen Pflegekräfte. Die Unterstützungsleistungen von Kranken- und Pflegekassen, der Altenhilfe und regionaler Angebote im Quartier greifen oft nicht ausreichend ineinander. Hier setzt QplusAlter mit seiner systematischen Begleitung älterer Menschen an. Ziel ist es, dass älter werdende Menschen und pflegende Angehörige nach ihren Vorstellungen im Stadtteil leben können und die Unterstützung finden, die sie dafür benötigen.

QplusAlter ist ein kostenfreies Angebot für ältere Menschen ab 65 Jahren und deren Angehörige im Bezirk Hamburg-Nord. Es wird von der Skala-Initiative sowie der NORDMETALL-Stiftung, der Karin und Walter Blüchert Stiftung und der HOMANN-Stiftung gefördert.

Die Lotsinnen von QplusAlter beziehen in ihrer Zusammenarbeit mit den Seniorinnen und Senioren alle möglichen Ressourcen mit ein: Selbsthilfe und Technik, Familie, Freund*innen und Nachbarschaft, Quartiersangebote und professionelle Hilfen. Und immer wird auch gefragt: Was wollen und können Sie ggf. für andere tun?

Seit Juni 2019 nutzt QplusAlter das Organisationsprofil von nebenan.de, um die Nachbarschaft für die Hilfsbedürftigkeit älterer Menschen zu sensibilisieren und zu mehr Nachbarschaftshilfe aufzurufen.

Hilfe im Alltag gesucht

Frau Meger im Gespräch mit der QplusAlter Lotsin Julia-Christin Jeske (Bild: Heike Günther)

Dieser Vormittag fängt für Erika Meger gut an. Kaum hat sie es sich in ihrem Sessel gemütlich gemacht, da klingelt eine alte Bekannte, die etwas zu lesen vorbeibringt. Außerdem ist Julia-Christin Jeske da, die QplusAlter-Lotsin, mit der sie gemeinsam einen Weg gefunden hat, wie sie trotz großer gesundheitlicher Einschränkungen weiter in ihrer Wohnung leben kann.

Das ist ihr wichtig. „Ich bin sehr froh. Jetzt habe ich Hilfe von Menschen, denen ich vertrauen kann.“ Hier in Groß Borstel wohnt sie seit 20 Jahren, kennt Menschen und Straßen, und die Zimmer stecken voller Erinnerungen.

Erika Meger hatte kein leichtes Leben. Doch auf dem Weg aus Ostpreußen, wo sie im Krieg geboren wurde, über Mecklenburg nach Norddeutschland und schließlich Hamburg meisterte sie alle Herausforderungen.

Jetzt, mit 78 Jahren, wusste sie plötzlich nicht mehr weiter. Vor drei Jahren starb der Lebensgefährte. Nach Operationen von Schulter, Knie und Hüfte wurde ihr die Hausarbeit zur Qual, war nicht mehr zu bewältigen.

Geld für eine Hilfe im Alltag ist bei der kleinen Rente nicht drin. Ein Pflegegrad wird abgelehnt. Dann lernte sie Julia-Christin Jeske kennen, eine Lotsin von QplusAlter. Eine Freundin, die ebenfalls von der Lotsin begleitet wird, hatte den Kontakt vermittelt. Schon beim ersten Besuch war Erika Meger klar, dass sie eine gute Ansprechpartnerin gefunden hatte: „Wir haben uns gleich verstanden. Da war kein Fremdeln – überhaupt nicht.“

Unterstützung aus der Nachbarschaft

In mehreren Gesprächen loteten beide gemeinsam die Möglichkeiten aus, etwas zu verändern. Erstes Ziel: das Finden einer bezahlbaren Hilfe für den Alltag. Julia-Christin Jeske begleitet Frau Meger als Lotsin. Ihre Aufgabe im Modell QplusAlter: „Wir nehmen uns Zeit, gemeinsam mit den alten Menschen zu schauen: Was belastet sie, was schränkt ihre Lebensqualität ein? Was ist ihnen wichtig? Wie soll ihr Alltag aussehen, damit sie sich wohlfühlen?“ 

Die beiden gehen gemeinsam die verschiedenen Optionen durch: Pflegedienst, private Haushaltshilfe, Servicestelle Nachbarschaftshilfe. Frau Meger war klar:

Ich brauche Unterstützung – aber am liebsten hätte ich jemanden, den ich kenne.
Willkommene Hilfe im Alltag: Frau Meger und ihre Nachbarin Frau Kluß (Bild: Heike Günther)

Und dann hatte sie eine Idee: eine Nachbarin. Julia-Christin Jeske ermunterte sie, dort einfach mal anzufragen. Frau Meger ist heute noch verblüfft: „Das klappte. Frau Kluß sagte zu!“

Die Kinder von Frau Kluß sind vormittags in der Schule, während dieser Zeit kann sie zu Frau Meger kommen. Sie treffen sich nun mehrmals im Monat, Frau Kluß hilft bei Hausarbeiten wie Bügeln oder Fensterputzen.

Erika Meger ist froh, jemanden zu haben, der im Bedarfsfall für sie da ist, auch mal Einkäufe erledigt oder sie zum Arzt begleitet. Wichtig ist beiden das Vertrauensverhältnis. Nachbarin Manuela Kluß freut sich, dass sie helfen kann: „So möchte ich es auch später mal haben.“

Mehr Lebensqualität durch mehr Selbstständigkeit

Mit der Lotsin an ihrer Seite gingen Erika Meger und ihre Tochter auch das Thema „Pflegegrad“ ein weiteres Mal an: mit Erfolg. Damit ist auch eine finanzielle Anerkennung für Manuela Kluß gesichert. Denn im Pflegegrad 1 ist ein sogenannter Entlastungsbetrag enthalten, der auch für Hilfeleistungen in der Nachbarschaft verwendet werden kann. Erika Meger ist froh, mit der Lotsin gemeinsam ihren Alltag organisieren zu können und wieder in den Griff zu bekommen.

Frau Meger unterwegs im Quartier (Bild: Heike Günther)

Und im gemeinsamen Gespräch entwickelt Frau Meger Ideen für ihren Alltag. Eines ergibt das andere. Manchmal Kleinigkeiten, die aber das Leben leichter machen. So führt die Tochter von Frau Kluß manchmal den Hund aus, wenn Frau Meger zu erschöpft ist.

Durch die Anregung der Lotsin kam Frau Meger auf die Idee, den Rollator einer Freundin einmal auszuprobieren, und fand schließlich den Mut, sich selbst einen anzuschaffen.

Und sie liebäugelt jetzt sogar mit einem Smartphone: Der Verein „Wege aus der Einsamkeit“ bietet eine kostenlose Gesprächsrunde an, in der der Umgang mit Smartphones und Tablets vermittelt wird, wenn sich sechs Personen in einem Stadtteil finden.

Frau Meger bekam die Runde fast allein zusammen, nur eine Frau kam auf Vermittlung der Lotsin dazu. Sie lud die ganze Gruppe zu sich in die Wohnung ein und freut sich schon aufs Kuchenbacken. Und sie hat noch weitere Pläne.

Gemeinsam mit der Lotsin überlegt sie, wie sie in ihrem Bad besser zurechtkommen würde und welche Hilfsmittel es dafür gibt. Lauter kleine Schritte, die zusammen viel Lebensqualität für Frau Meger bedeuten: soziale Kontakte, mehr Mobilität, mehr Selbständigkeit.

____

Ein Gastbeitrag der Evangelischen Stiftung Alsterdorf


Du arbeitest auch für eine Organisation?
Dann erstelle jetzt dein Organisationsprofil auf nebenan.de.

Jetzt Registrieren
Johanna Falkenstein | nebenan.de

Johanna unterstützt das Kommunikationsteam von nebenan.de seit April 2018. Unter anderem beschäftigt sie sich mit Begegnungsformaten in der Nachbarschaft – online und offline.