Fußgängerzone einer Einkaufsstraße
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Wie können wir die Zukunft unserer Innenstädte aktiv mitgestalten?


Leere Fußgängerzonen und verlassene Ladengeschäfte – in diese Richtung entwickeln sich viele Innenstädte in Deutschland. Wir haben mit Expert:innen aus Wirtschaft und Politik darüber gesprochen, wie Lösungen für diesen Trend aussehen können und müssen.

Was nehmen sich Politik und Stadtplaner:innen vor, um Innenstädte wieder attraktiver und belebter zu machen? Welche Erfolgsgeschichten gibt es? Und was können wir als Konsument:innen tun? Mit diesen Fragen haben wir uns gemeinsam mit ausgewählten Vertreter:innen aus Stadtentwicklung, Einzelhandel, Politik und Wirtschaft im Rahmen unserer Online-Podiumsdiskussion am 28. Juni 2022 auseinandergesetzt.

Mit dabei waren:

  • Manuel Kienzler, Referent Stadtentwicklung, Metropolregion, Geschäftsbereich Nachhaltigkeit und Mobilität, Handelskammer Hamburg

  • Michael Reink, Bereichsleiter, Standort- und Verkehrspolitik, Handelsverband Deutschland

  • Kari Lenke, Bezirksverordnete in Berlin Tempelhof-Schöneberg

  • Hans-Günter Grawe, Geschäftsführer Veedellieben e. V.

  • Tobias Eichmeier, Geschäftsführer, ANWR Schuh GmbH

  • Katharina Dienes, Smart Urban Environments, Fraunhofer IAO

  • Dr. Franziska Rokos, Referentin, Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz

Moderiert wurde die Diskussionsrunde von Lukas Marzi, Geschäftsführer von On Purpose und Marziplan.

Dein Einkaufszettel – deine Stimme für lokale Ladenvielfalt

Verödung von belebten, bunten Innenstädten – diese Entwicklung ist bereits in vollem Gange. Till Behnke, Gründer und Geschäftsführer von nebenan.de, sieht in jedem kleinen, lokalen Einkauf im eigenen Viertel einen Schritt in die richtige Richtung:

Jeder unserer Einkäufe ist wie ein Stimmzettel – unser eigenes Kaufverhalten beeinflusst, ob wir die zunehmende Verödung und Gleichförmigkeit unserer Viertel hinnehmen oder ihr entgegentreten. Deshalb lautet unser Motto bei nebenan.de: Kauf lokal!

Lokale Vielfalt fordert Wandlungsfähigkeit

Katharina Dienes, Smart Urban Environments, Fraunhofer IAO

Nur durch unser Kaufverhalten lässt sich die Innenstadt jedoch nicht retten. „Es gibt viele unterschiedliche Akteur:innen, die mit ihren jeweiligen Perspektiven auf das eine große Thema der (Wieder-)Belebung der Innenstadt blicken“, erklärt Katharina Dienes vom Fraunhofer-Institut. Diese müssen einbezogen und in einem Konzept verknüpft werden.

Ihre Forschung zum Thema Smart Urban Environments zeigt: Die Innenstädte müssen flexibler und wandlungsfähiger werden. Nur so können sie rechtzeitig auf die sich schnell ändernden gesellschaftlichen Bedürfnisse reagieren, zukunftsfähig für eine diverse Nutzerschaft bleiben und als präsenter Ort im alltäglichen Miteinander weiter bestehen. 

Sind konsumfreie Innenstädte die Antwort?

Ein Stichwort, das im Diskurs über aussterbende Innenstädte immer wieder auftaucht, ist "konsumfrei". Manuel Kienzler ist Stadtplaner und arbeitet für die Handelskammer Hamburg. Er sieht in rein konsumfreien Innenstädten nicht die Lösung für das Problem. Trotzdem müssen Handelsvertreter:innen feststellen, dass die alten Muster der Fußgängerzonen als reine Einkaufsstraßen nicht mehr tragfähig sind:

Was wir heute in der Innenstadt brauchen, ist eine Kombination aus Konsum-, Erlebnis- und Identifikationsorten. Ich sage nicht, dass der Handel keine Zukunft in der Innenstadt hat, nur dass er sich ein Stück weit verändern muss. In der Innenstadt gab es schon immer Handel in den unterschiedlichsten Formen – das soll auch so bleiben.

Individuelle Lösungen für vielfältige Innenstädte

„Es gibt nicht DIE Innenstadt, und es gibt sicher auch nicht die eine Lösung. Das Spektrum der Nutzer:innenschaft der Innenstadt ist zu breit dafür – von jungen Shoppingbegeisterten über die Oma mit Einkaufsnetz, die immer in den gleichen Laden geht bis hin zu den Menschen, die nur noch online bestellen, weil sie das gesuchte Angebot in ihrer Region nicht mehr vor Ort finden“, beschreibt Franziska Rokos vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz die Herausforderung der Umgestaltung der Innenstädte.

Die Erwartungen und Wünsche der verschiedenen Interessengruppen müssen berücksichtigt werden. Kari Lenke, Bezirksverordnete in Berlin Tempelhof-Schöneberg, betont dabei die Wichtigkeit von Bürgerbeteiligungsverfahren:

Frau mit Brille lächelt in die Kamera
Kari Lenke, Bezirksverordnete in Berlin Tempelhof-Schöneberg
Auf unseren Informationsveranstaltungen kommen regelmäßig Bürger:innen, Unternehmensinitiativen, Zusammenschlüsse uvm. zusammen. Dabei tauchen immer wieder Interessenskonflikte auf – besonders wenn es um Themen wie Multifunktionalität, die Gesamtheit der Geschäftsstraßen und die Gestaltung von Begegnungszonen geht.
Individuelle Lösungen sind für individuelle Geschäfte unserer Innenstädte erforderlich

Gleichzeitig verfügt nicht jede Stadt über die gleichen wirtschaftlichen Voraussetzungen und Ressourcen. Dementsprechend kann es keine städteübergreifende Einheitslösung geben.

Als Bereichsleiter Standort- und Verkehrspolitik vom Handelsverband Deutschland beschäftigt sich Michael Reink mit verschiedenen Konzepten zur Verbesserung der Situation von Innenstädten. Er weiß, dass jede Stadt ein individuelles Konzept benötigt, das die jeweiligen örtlichen Bedingungen und Umstände berücksichtigt. Während sich eine wohlhabende Stadt Kulturorte wie Museen leisten kann, um Menschen in die Innenstadt zu locken, muss eine andere Stadt auf erschwingliche Optionen zurückgreifen. Eine spannende Erkenntnis: Am Ende sind Gastronomie und Einzelhandel der treibende Punkt für das Beleben von Innenstädten.

Offline und Online verknüpfen, um Regionalität zu stärken

Damit Kund:innen den Weg zurück in die Innenstadt finden, gilt es, dem Online-Handel und den raschen Veränderungen im Konsumverhalten rasch entgegenzuwirken und die Stadtzentren anzupassen. Hans-Günter Grawe, Geschäftsführer von Veedellieben e. V. bringt es auf den Punkt:

„Wir brauchen neue Gesprächsrunden und Schnelligkeit sowie das Zusammenspiel von örtlichen Institutionen, Politik und städtischen Verwaltungen. Wege müssen schnell und unkompliziert freigemacht werden, damit Veränderungen schnell sichtbar werden. Es geht letztendlich nur gemeinsam.“

Erforderlich sind Rahmenbedingungen für eine digitale, regionale Vernetzung und einen effektiven Austausch.

Nebenan.de Nachbar Philipp sitzt auf Stuhl vor seinem Lieblingsladen neben Obst- und Gemüsekisten
Damit lokale Lieblingsläden, wie der von nebenan.de Nutzer Philipp bestehen bleiben, muss sich etwas ändern

Helfen können dabei digitale Plattformen, die es Stadt, lokalen Gewerben und Nachbar:innen ermöglichen, in direkten Austausch miteinander zu treten. So nutzt beispielsweise das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin nebenan.de als Plattform, um Informationen und Neuigkeiten rund um den Bezirk mit der Nachbarschaft zu kommunizieren.

Was können wir für die Zukunft der Innenstadt tun?

Bei einer Sache sind sich alle Sprecher:innen der Podiumsdiskussion einig: Es braucht verknüpfte Möglichkeiten und bessere, authentische Angebote. Das Stadtzentrum ist für viele kein täglicher Anlaufpunkt mehr. Home-Office und Online-Shopping machen den Besuch der Innenstadt vielmehr zu einer bewussten Entscheidung. Tobias Eichmeier, Geschäftsführer, ANWR Schuh GmbH weiß, das Ziel muss ein Gesamterlebnis sein, das Einzelhandel, Kultur, Freizeit, Gastronomie sowie eine moderne Infrastruktur und bezahlbaren Wohnraum vereint:

Die Innenstädte sind und bleiben lebendiger Treffpunkt unserer Gesellschaft. Je attraktiver, bürger-/kundenorientierter und vielfältiger, desto begehrter. Es ist ein Ökosystem, angereichert um digitale Serviceleistungen, dass nur gemeinsam funktioniert.

Nach den Lockdowns haben die Bürger:innen wieder Lust, rauszugehen, lokal einzukaufen, die Stadt zu erleben und Leuten zu begegnen – das muss die Innenstadt der Zukunft bieten können.


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Johanna Falkenstein | nebenan.de

Johanna unterstützt das Kommunikationsteam von nebenan.de seit April 2018. Unter anderem beschäftigt sie sich mit Begegnungsformaten in der Nachbarschaft – online und offline.